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Weizen vs. Dinkel

Blähungen, Bauchschmerzen und Verstopfungen – Weizen und Gluten werden öffentlich immer häufiger für diese Symptome an den Pranger gestellt. Seitdem genießen vor allem Diäten, die auf die beiden vermeintlichen Übeltäter verzichten, übermäßige Beliebtheit. Besonders die Getreideart Dinkel erlangt in diesem Rahmen immense Popularität, mitunter weil ihm besondere gesundheitliche Vorteile im Vergleich zu allen anderen Getreidesorten zugeschrieben werden. Allerdings gibt es keine fundierten wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu, dass Dinkel unbedingt besser ist bzw. besser verträglich ist.

Personen mit Verdacht auf Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizen-/Gluten-Sensitivität (NCGS/NCWS) berichten häufiger von einer Verträglichkeit von Backwaren aus Dinkel im Vergleich zu Weizen-haltigen Lebensmitteln. Allerdings gibt es bisher keine fundierten wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine bessere Verträglichkeit des Dinkels, weshalb eine Forschergruppe nun einen einfachen Test durchführte: Patienten mit Verdacht auf NCGS/NCWS, aber vermuteter Dinkeltoleranz, führten eine Weizen- und Dinkelbrot-Challenge durch. Die Probanden wurden in einem einfach verblindeten Crossover-Design über sechs Wochen mit sechs verschiedenen Studienbroten (300 g pro Tag) für 4 Tage pro Woche herausgefordert, die entweder Weizen, Dinkel, Gluten, FODMAP oder kein Gluten enthielten. An den restlichen Tagen der Woche konnte sich der Verdauungstrakt wieder von den Broten erholen. Zur Auswertung nutzten die Forscher das Scoring System zur Beurteilung des Schweregrads eines Reizdarmsyndroms.

Überraschenderweise und entgegen der Erwartungen der Probanden machte es keinen Unterschied, ob Dinkel oder Weizen in den Broten enthalten waren. „Unsere Studie zeigt, dass es entgegen mancher Erwartungen keinen objektiven Unterschied zwischen Weizen- und Dinkelbrot hinsichtlich der Auslösung von gastrointestinalen Symptomen bei NCWS-Verdachtspatienten gibt“, schreiben die Autoren. Wer jetzt in diesem Rahmen meint, das liege an modernen Herstellungstechniken und früher sei alles besser gewesen, wird auch bitter enttäuscht. Denn die Forscher testeten auch traditionell hergestellte Brote gegenüber neueren Rezepturen – weder das eine, noch das andere wurde vertragen. Das lässt für die Autoren den Schluss zu, dass bei der Wahrnehmung der Symptome die Psyche eine Rolle spielen könnte.

Was sich aber nicht leugnen lässt ist, dass beide Getreidearten anders zusammengesetzt sind. Deshalb gibt es auch den verbreiteten Mythos, dass im Gegensatz zu Weizen, Dinkel kein ω-5-Gliadin oder auch generell keine ω-Gliadine enthalten würde. Wirklich populär ist daher auch die Theorie, dass Dinkel insbesondere für Menschen mit Weizenunverträglichkeit oder Zöliakie geeignet sein könnte – das entspricht aber nicht den Tatsachen.

Aber was ist Gluten eigentlich? Es handelt sich dabei um ein Kleber-Eiweiß, also ein Stoffgemisch aus Proteinen, Lipiden und Kohlenhydraten, das in einigen Getreidearten vorkommt. Wird Wasser zum Getreidemehl hinzugefügt, sorgt das Gluten beim Anteigen für die elastische Konsistenz des Teiges. Das Gluten setzt sich insgesamt aus vier sogenannten Osborne-Fraktionen (Albumine/Globuline, Prolamine und Glutelin) zusammen – pflanzliche Speicherproteine des Samens. Die Einteilung von Proteinen in diese Fraktionen erfolgt nach ihrer Löslichkeit in alkoholischen und alkalischen Lösungen. Diese Speicherproteine können in verschiedene Gluten-Protein-Typen unterteilt werden: ω-5-, ω-1,2-, α-, γ-Gliadine (die zu den Prolaminen zählen) sowie hoch- und niedermolekulare Glutenine (die zu den Glutelinen zählen)

Dinkel wird auch bei Zöliakie nicht vertragen, da er eben nicht glutenfrei ist. Weizen und Dinkel sind eng miteinander verwandt und gehören zur selben Gattung. Zwischen den beiden Getreidesorten bestehen daher nur kleinere Unterschiede in der Gluten-Zusammensetzung. Dinkel enthält im Gegensatz zu Weizen wenig bis kein Glutenin-gebundenes ω-Gliadin, dafür aber vergleichbare Verhältnisse an anderen Gluten-typischen Gliadinen und Gluteninen. Bei molekularen Analysen können diese kleineren Unterschiede je nach Bedarf herangezogen werden. Wer sich glutenfrei ernähren möchte, sollte eher auf Getreidearten wie Hirse, Mais oder Reis sowie auf Pseudogetreide wie etwa Quinoa oder Buchweizen umsteigen, da diese tatsächlich kein Gluten enthalten.

Dinkel zeichnet sich im Vergleich zum Weizen mit höheren Anteilen an Mineralstoffen, Spurenelementen, Vitaminen und Eiweiß aus. Das gilt aber nur für das unbehandelte Korn – nach der Verarbeitung sieht das schon wieder anders aus. In einer aktuellen Studie untersuchten Forscher die Nährwerte von Weizen, Dinkel, Emmer und Einkorn. Sie konnten zeigen, dass beim Brotbacken mit verschiedenen Getreiden die Verfügbarkeit von Mineralien insbesondere von der gewählten Rezeptur abhängt. Beispielweise können sich Rezepte mit einer langen Gärung und die Verwendung eines Sauerteigstarters oder von Roggenvollkornmehl, sowie eine längere Teigführung vorteilhaft auf das Brot und die Verfügbarkeit der Nährstoffe auswirken.

Gastrointestinale Beschwerden können vielerlei Ursachen haben, Weizen und Dinkel können dabei eine wesentliche Rolle spielen. Aber anstatt Weizen von vornherein zu verteufeln und dem bösen Gluten alles in die Schuhe zu schieben, sollte durch eine ausführliche Anamnese erst einmal geschaut werden, auf welche Nahrungsmittel bestimmte Symptome tatsächlich zurückzuführen sind. Womöglich könnte es sich bei der Weizen-Sensitivität auch um eine Kohlenhydratmalabsorption handeln.